Im Vorfeld der jüngst angestoßenen Reform des Sanktionsrechts ist der seit Jahrzehnten währende Streit um die Ersatzfreiheitsstrafe erneut entflammt. Hintergrund des im Oktober 2023 beschlossenen Reformgesetzes ist der kriminologisch gesicherte Befund, dass die Zahl derjenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, in den letzten Jahren weit angestiegen ist. Zugleich kann bei diesen – meist kurzen – Haftstrafen dem Vollzugszweck der Resozialisierung nicht ausreichend Rechnung getragen werden.

Die Ersatzfreiheitsstrafe tritt gemäß § 43 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe. Eine Geldstrafe wird gemäß § 40 StGB in Tagessätzen verhängt, deren Höhe sich nach dem bereinigten Nettoeinkommen berechnet, welches der*die Beschuldigte an einem Tag hat oder haben könnte. Bisher ist gesetzlich festgelegt, dass an Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe je verhängtem Tagessatz ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe tritt (§ 43 Satz 2 StGB). Nach dem Reformgesetz soll der Umrechnungsmaßstab der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbiert werden, sodass künftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Diese Reform wurde zwar als immerhin kleiner Schritt in die richtige Richtung begrüßt, Kritiker*innen geht diese Milderung der Strafe jedoch nicht weit genug. Zudem wird bemängelt, dass das eigentliche Problem der Ersatzfreiheitsstrafe, nämlich die von ihr ausgehende unverhältnismäßige Härte für von Armut betroffene Menschen, durch die Reform nicht adressiert wird.

Ein Blick in die Haftanstalten

Die neue Fassung des § 43 StGB wird am 01.02.2024 in Kraft treten, bis dahin wird die Norm in der Fassung angewandt werden, die im Jahr 1969 im Wege der 2. Strafrechtsreform eingeführt wurde. Ursprünglich sollte das Gesetz bereits ab Oktober dieses Jahres Anwendung finden. Einige Bundesländer hatten jedoch um Aufschub gebeten, um das entsprechende IT-System an die neue Umrechnungsformel anzupassen. An dieser Meldung setzte eine erneute Welle der Kritik an der Ersatzfreiheitsstrafe an und abermals wurde die Frage laut, ob statt einer bloßen Abmilderung der Strafe eine Abschaffung des § 43 notwendig sei. Doch worum genau geht es im Streit um die Ersatzfreiheitsstrafe?

Das deutsche Strafsystem lässt grundsätzlich zwei Sanktionsarten zu, die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe. Die Freiheitsstrafe ist dabei, auf Grund der Intensität ihres Eingriffs in Grundrechte, die ultima ratio der Sanktionierungsmittel, die Geldstrafe ist hingegen bei weniger schweren Delikten vorgesehen. Wird eine solche Geldstrafe, die das Gericht für angemessen hinsichtlich des Delikts und der Person des*r Täter*in befunden hat, nicht gezahlt, droht § 43 StGB die ersatzweise Freiheitsentziehung an. Die Ersatzfreiheitsstrafe verfolgt dabei das Ziel, die Zahlung der Geldstrafe abzusichern. Häufig ist so die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe unverhältnismäßig zur ursprünglich abgeurteilten Straftat, da die Freiheitsstrafe nicht aufgrund der Schwere des Delikts verbüßt wird, sondern aufgrund der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit der Verurteilten (Bögelein, KJ 56 (2023), 259, 262). 

In der Praxis entscheiden sich viele Zahlungsunwillige nämlich tatsächlich noch kurz vor oder nach Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe um und zahlen die Geldstrafe zur Vermeidung einer Haftverbüßung. Dennoch wird geschätzt, dass etwa die Hälfte aller innerhalb eines Jahres angetretenen Freiheitsstrafen in Deutschland Ersatzfreiheitsstrafen sind, von denen die meisten auch vollständig verbüßt werden. Da es keine offizielle Statistik zur Ersatzfreiheitsstrafe gibt, beruhen die Zahlen auf Studien aus verschiedenen Bundesländern (zu Mecklenburg-Vorpommern, zu Nordrhein-Westfahlen) sowie auf einem Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Justizministerien (BLAG) von 2019. Der Bericht wurde 2021 von dem Projekt Frag-den-Staat und der Sendung des ZDF Neo Magazin Royale veröffentlicht und gibt neben den genannten Studien auch Auskunft über diejenigen Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Viele der Inhaftierten sind arbeitslos, haben keine feste Wohnadresse und leben unterhalb der Armutsgrenze. Bei den Taten handelt es sich oftmals um „Bagatelldelikte“, die mit Armut assoziiert werden, wie kleinere Ladendiebstähle oder das Erschleichen von Leistungen („Schwarzfahren“) (Neubacher/Bögelein, MschrKrim (2021), 107, 120). Ein Großteil derer, die von den Regelungen um die Ersatzfreiheitsstrafe betroffen sind, sind also nicht per se unwillig, die Strafe zu zahlen, sondern haben kein Einkommen oder Rücklagen und sind deshalb nicht fähig, zu zahlen. Die Möglichkeit, die Strafe in Raten zu zahlen oder abzuarbeiten, stellt für viele Betroffene aus unterschiedlichen Gründen keine Alternative dar (dazu unten). Dabei war die Ersatzfreiheitsstrafe ursprünglich ausdrücklich nicht dazu gedacht, Zahlungsunfähige zu treffen, sondern sollte lediglich Zahlungsunwillige abschrecken und ihnen einen Anreiz bieten, die Geldstrafe doch noch zu bezahlen. Dass heutzutage die Anzahl der angetretenen Ersatzfreiheitsstrafen steigt und gerade diejenigen eine solche Freiheitsstrafe verbüßen, die unter Armut leiden, ist Ausdruck eines systemischen Problems in der Strafpraxis. 

Wird aufgrund von Armut härter bestraft?

Insbesondere der Journalist und Jurist Ronen Steinke hat mit seinem Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ (4. Auflage, Berlin 2022) öffentlichkeitswirksam darauf hingewiesen, dass in Deutschland eine neue Klassenjustiz praktiziert werde. 

In Bezug auf die Ersatzfreiheitsstrafe beginnt eine nachteilige Behandlung armer Menschen bereits bei der Berechnung der ursprünglichen Geldstrafe. Eigentlich soll die Berechnung der Strafe nach Tagessätzen für mehr Fairness sorgen, da jeder Verurteilte auf einen Teil seines eigenen Einkommens verzichten muss. Doch je nach sozialer Gesamtsituation trifft diese Regelung Menschen, die keine Rücklagen haben, sehr viel stärker. (Steinke, S. 73) 

Gerade bei einer Festsetzung der Geldstrafe mittels Strafbefehls, bei dem die Verurteilung schriftlich und ohne Hauptverfahren erfolgt, wird das Einkommen oftmals anhand weniger Daten geschätzt. Zwar wird dies wohlwollend in dubio pro reo getan, doch in der Regel ist dies lediglich vorteilhaft für Beschuldigte, die eigentlich ein höheres Einkommen haben. Sie bekommen eine Art „Strafrabatt“. Auf der anderen Seite entstehen durch die Schätzung unverhältnismäßig hohe Geldstrafen bei armen Menschen, insbesondere bei solchen, die einen Beruf angeben, tatsächlich aber dennoch unter der Armutsgrenze liegen. Selbst ein geschätzter Tagessatz von 20-30 Euro ist so kaum zu bewältigen (Steinke, S. 78 ff.).

Eigentlich muss der Schätzung eine Begründung zugrunde liegen (BVerfG in Beschluss vom 1. Juni 2015, 2 BvR 67/15, 22), doch in der Praxis wird dies kaum so umgesetzt. Eine falsche Berechnung kann zwar angefochten werden, aber ohne anwaltliche Hilfe ist dies kaum möglich und die wenigsten Menschen haben Kenntnis von diesem Rechtsmittel (Steinke, S. 85).

Das Ziel der Geldstrafe ist in erster Linie die Zufügung eines Übels zum Ausgleich der Schuld. Jenes Übel soll allerdings nicht in einer Disziplinierung (Steinke, S. 286) und Kontrolle der Sanktionierten bestehen, sondern durch die Wegnahme von Geld einen Konsumverzicht für die Sanktionierten bewirken. Ihr haftet dabei nicht dasselbe gesellschaftliche Stigma an wie der Freiheitsstrafe, da die Verurteilten nicht aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen werden, sondern ihre Strafe im Geheimen ableisten können. Dieser Zweck kann nur verfehlt werden, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe auch auf Individuen angewandt wird, die nicht fähig sind, zu zahlen (Bögelein, KJ 56 (2023), 259, 260).

Grundsätzlich finden sich im Strafprozessrecht durchaus Normen, die diese Ungleichheiten auffangen sollen, doch in der überwiegenden Zahl der Fälle, in denen eine Ersatzfreiheitsstrafe vollständig in der Haftanstalt abgeleistet werden muss, kommen diese nicht zum Tragen. In einem „typischen“ Fall zieht sich die Armut der*s Betroffenen als Motiv durch die Kausalkette, die von der Begehung der Tat bis zur Verbüßung der Freiheitsstrafe reicht. Bereits die Tat wird aus sozialer Not heraus begangen, wegen der geringen Schwere der Tat wird der*die Täter*in im Strafbefehlsverfahren verurteilt und hat dann nur eine kurze Frist, um Widerspruch einzulegen. 

Nach § 459 f StPO soll das Gericht anordnen, dass die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt, wenn die Vollstreckung eine unbillige Härte für den Verurteilten wäre. Der Begriff der unbilligen Härte ist allerdings nicht ausreichend konkretisiert und da die Vollstreckung gemäß § 459e StPO durch Rechtspfleger*innen angeordnet wird, kommt es in den meisten Fällen gar nicht zu einer gerichtlichen Anhörung, in der eine solche Härte festgestellt werden könnte (Wilde, Armut und Strafe, 1. Aufl. (2016), S.93 ff.). 

Auch die alternative Tilgung der Geldstrafe durch Ableistung freier Arbeit gemäß § 293 EGStGB scheitert zumeist an fehlendem Verständnis oder fehlender Kenntnis von dieser Möglichkeit. Ebenso verhält es sich mit den nach § 459a StPO zu gewährenden Zahlungserleichterungen. In den hier betrachteten Fällen ist zumeist keine Pflichtverteidigung vorgesehen und einen Rechtsbeistand wird sich die*der Betroffene nicht leisten können. So läuft das gesamte Verfahren weitestgehend anonym ab, an keiner Stelle könnte ein Gericht die Zahlungsunfähigkeit überhaupt feststellen. (Bögelein, KJ 56 (2023), 259, 264) Hinzu kommt, dass auch diese Möglichkeiten der Erleichterung oder Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe nur dann wahrgenommen werden können, wenn die Betroffenen lediglich temporär zahlungsunfähig sind. Die freie Arbeit hat laut Wilde seit ihrer Einführung die Vollstreckungen von Ersatzfreiheitsstrafen nicht wie beabsichtigt verringert, sondern besteht als weitere Sanktionsform neben ihr. Dies liegt unter anderem daran, dass viele derer, die das Angebot der freien Arbeit zugunsten einer Ersatzfreiheitsstrafe ablehnen, physisch oder psychisch zu einer solchen Arbeit nicht fähig sind (Wilde, Armut und Strafe, 1. Aufl. (2016), S. 245). Ob jene Personen dann als haftfähig gelten können, erscheint unter diesen Umständen als unwahrscheinlich, zumindest aber fraglich.

Die Ersatzfreiheitsstrafe wird auch als „Rückgrat der Geldstrafe“ bezeichnet und ihre Daseinsberechtigung so begründet. Bei Zahlungsunwilligen ist dies wohl noch ein vertretbares Argument.

Angesichts derjenigen, die typischerweise und empirisch belegt, wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft sind, spricht jedoch ein gewisser Zynismus aus diesem Argument, ist doch klar, dass die Geldstrafe mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gezahlt werden kann. Der Sanktionierungseffekt der Ersatzfreiheitsstrafe gibt den Verurteilten bildlich gesehen die Wahl sich zwischen zwei Türen zu entscheiden, die zur Tilgung der Strafe führen – auf der einen steht „Zahlung“, auf der anderen „Ersatzfreiheitsstrafe“. Eine zahlungsunfähige Person kann aber nur die Tür öffnen, die in einen vergitterten Raum führt, die andere bleibt ihr verschlossen. Sie zu behandeln, als habe auch sie die Wahl, doch noch zu zahlen, ist geradezu ein Hohn.

Ist die Ersatzfreiheitsstrafe alternativlos?

In der Debatte um die Ersatzfreiheitsstrafe wird Befürwortern einer gänzlichen Abschaffung dieser Strafform insbesondere vorgeworfen, dass sie keine Alternativen anbieten. Die neue Strafreform scheint durch mildere Regelungen eine Alternative zur derzeitigen Anwendung der Ersatzfreiheitsstrafe zu bieten. Die neue Umrechnungsformel und die damit verbundene verkürzte Haftstrafe soll das Zusatzübel der Freiheitsstrafe abschwächen. Auch beinhaltet die Strafrechtsreform in Bezug auf die Ersatzfreiheitsstrafe neben der Änderung des § 43 StGB einige ergänzende Regelungen zur Vollstreckung und Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe. Durch eine Halbierung der alternativen freien Arbeit soll diese auch für physisch oder psychisch beeinträchtigte Personen besser durchzuhalten sein, wodurch die Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen reduziert werden soll. 

Obgleich aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, dass der Gesetzgeber diese Umstände durchaus kennt und daraus einen Handlungsbedarf ableitet, verkennt er doch, dass die Armut das Kernproblem der Uneinbringlichkeit von Geldstrafen ist. Entgegen allen Studien geht der Entwurf davon aus, dass eine „echte Zahlungsunfähigkeit“ regelmäßig nicht vorliege. Auch das neue Strafreformgesetz zeugt so von einem Menschenbild, das von der Wirklichkeit von in Armut lebenden Menschen sowie empirischen Erhebungen um die Ersatzfreiheitsstrafe stark abweicht. Armut wird hier nicht als strukturelles Problem erkannt, sondern vielmehr als persönliches Scheitern gesehen (Bögelein, KJ 56 (2023), 259, 270). 

An der Ersatzfreiheitsstrafe hält der Gesetzesentwurf fest, da sie weiter als Druck- und Beugemittel fungieren soll. Dabei kann diese Funktion bei Zahlungsunfähigen nur scheitern, da nicht der Unwillen zur Zahlung Grund für die Ersatzfreiheitsstrafe ist. Eine bloße Änderung des Umrechnungsmaßstabs ändert nichts an der Geldstrafe selbst, und somit bleibt auch der Grund für die Inhaftierung bestehen. Bei Zahlungsunwilligen hingegen könnte der Tilgungsdruck durch die Androhung von Zwangsvollstreckungen und Lohnpfändung als Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe ausreichen. Der Gesetzesentwurf wird den eigentlichen Problemen der Ersatzfreiheitsstrafe nicht gerecht und wirkt eher wie eine kosmetische Maßnahme als wie eine Lösung.

Bei der Frage nach Alternativen für die Ersatzfreiheitsstrafe wird ein Konflikt straftheoretischer Grundsätze offenbar. Auf der einen Seite muss einem Urteil stets eine Strafe folgen, auf der anderen Seite jedoch ahndet das Zusatzübel der Freiheitsstrafe die Verurteilten für ihre schuldlose Zahlungsunfähigkeit. Im Rechtsstaat kann eine Strafe ohne Schuld nicht existieren. Bereits in der großen Strafrechtsreform zog Eberhard Schmidt den folgenden Vergleich: „Wenn man jemanden, der eine Geldstrafe zu zahlen einfach nicht in der Lage ist, dafür, daß er kein Geld hat, einsperrt, so ist das dasselbe, als wenn man einen zur Freiheitsstrafe Verurteilten, wenn er haftunfähig ist, tötet.“ (BMJ, Materialien I, 1954, S.22).

Ein Blick nach Schweden verrät, dass es auch anders gehen kann. Menschen, denen die Zahlung der Geldstrafe auch nach fünf Jahren noch unmöglich ist, wird die Strafe erlassen.

Allein aus einem Bedürfnis nach Vollstreckung jeder Strafe heraus, sollte eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe daher nicht abgelehnt werden. Vielmehr erfordern die Missstände in der Strafpraxis, die Menschen in Armut benachteiligen, eine grundlegende Änderung des Geldstrafensystems, das der Ersatzfreiheitsstrafe zugrunde liegt. Jedenfalls sollte der eigentlich im Zivilrecht zu verortende Grundsatz „Geld hat man zu haben“ nicht zulasten derer, die unter Armut leiden, freimütig auf das Strafsystem übertragen werden.

von stud. iur. Katja Steinberg